Eine Wand ist so praktisch, man kann so vieles dahinter verbergen. Und schwer zu bauen, st sie auch nicht…
“Eine Wand ist so praktisch, man kann so vieles dahinter verbergen”
Unten im Wohnzimmer
Wie einem ein Mensch doch fern sein kann, obwohl er gar nicht so weit weg ist.
Im Haus ist es ganz still. Nur das monotone Tick-Tock der Wanduhr reißt mich aus meiner Trance. Ruhe sollte positiv sein, das heißt, dass niemand außer uns in der Wohnung ist. Aber mich beunruhigt es, wenn es so totenstill ist, wenn noch nicht einmal eine Diele knarrt. Vielleicht sollte ich den Fernseher einschalten, nur kurz, um die Stille zu überbrücken.
Außerdem fühle ich mich einsam. Ich sitze hier und obwohl er direkt hinter mir steht fühle ich mich allein gelassen.
Oder ich gehe ins Bett und vergesse einfach den ganzen Tag. Ja, das sollte ich tun.
Ich stehe auf und schlurfe nach oben. Einmal drehe ich mich noch zu ihm um.
„Ich gehe jetzt ins Bett“, rufe ich ihm zu, dann verschwinde ich im Treppenaufgang.
Im Schlafzimmer ist es eiskalt. Kein Wunder, ich habe das Fenster aufgelassen. Die weißen Vorhänge flattern im Wind hinaus in die mondklare Nacht.
Mich fröstelt und langsam zieht sich eine Gänsehaut über meine Arme den Rücken hinunter.
Ich schließe das Fenster und drehe den Heizkörper auf die höchste Stufe… Nein doch lieber auf die Mittlere. Wenn es zu warm ist, kann ich nicht schlafen. Am besten wäre es wohl, wenn ich ihn ganz auslasse.
Aber er hat es doch am liebsten warm. Egal, er ist unten im Wohnzimmer. Also Heizung aus.
Ob ich nach ihm sehen sollte?
Ich stehe vor dem Badezimmerspiegel und wische den Mascara von meinen Augen. Viel ist nach den Tränen nicht davon übrig geblieben. Furchtbar sehe ich aus. Die schwarze Wimperntusche ist bis hinunter zum Kinn gelaufen. Die Haarsträhnen, die ich heute Morgen noch so kunstvoll durch das Glätteisen gezogen habe, haben sich wieder zu kräuseln begonnen.
Außerdem habe ich mir einen Nagel abgebrochen. Aber den wieder in Form zu bringen, das wird bis morgen warten müssen. Irgendwie bin ich zu durcheinander, außerdem macht mir der Anblick der Nagelfeile Angst.
In Nachthemden fühle ich mich nackt, deshalb nehme ich lieber Schlafanzüge. Das war schon immer so. Heute auch. Wenn schon alles in die Brüche gehen muss, so will ich zumindest dieses kleine bisschen Routine behalten. Es ist meine Routine!
Ich lausche. Unten ist es still, aber das Licht brennt. Was solls. Ich gehe ins Bett.
Unter der Decke ist es nicht ganz so warm, wie wenn er neben mir liegt. Überhaupt ist das halbleere Bett unheimlich. Ich drehe das Gesicht zur Tür. Soll ich sie offen lassen? Nein, am besten alles hinaus sperren was war. So weit weg wie möglich.
Also stehe ich auf und schließe die Tür, nur einen kleinen Spalt lasse ich offen, nur zur Sicherheit.
Es ist noch leiser, jetzt wo ich auch nicht mehr durchs Haus geistere. Durch den Spalt in der Tür fällt Licht aus dem Flur ins Zimmer. Ich kann bei Licht nicht schlafen, warum war ich so dumm die Türe offen zu lassen? Aber noch einmal aufstehen, jetzt, wo meine Füße gerade beginnen warm zu werden?
Wie ist es dazu gekommen? Meine Schuld, seine Schuld…unsere Schuld. Eine Beziehung ist ein „WIR“. Aber WIR haben nicht mit der anderen Frau rumgemacht, WIR haben nicht heimlich Nachrichten verschickt und Rosen, WIR haben das nicht vor mir verheimlicht. Er hat, ich habe nicht, nicht mal gewusst habe ich. Soll er weiter machen, ist mir gleichgültig, soll er doch das Licht im Flur ausmachen wenn’s ihn stört.
Die Sekunden kriechen vorbei. An der Decke krabbelt eine Fliege. Armes Ding, fliegt nicht mehr, krabbelt nur noch. Hin und Her und wieder Hin, vollkommen verloren ist das Tier. Weiß weder aus noch ein, ist vermutlich ohnehin bald tot. Eine Eintagsfliege, oder vielleicht auch eine Zwei-bis-drei-Tagsfliege, ich weiß ja nicht wie lange die da schon krabbelt.
Das Licht ist immer noch an und das heißt ich kann immer noch nicht schlafen.
Und die Fliege krabbelt und brummt und das Licht ist an und ich liege wach, ich starre an die Decke und auf die Fliege und dann auf die Tür, auf das Licht, die Fliege, Decke, Tür, Licht, Fliege, Licht, Licht, Tür, Fliege, Decke, Tür, Fliege, Licht, Spalt, Decke, Fliege, Decke, Tür, Licht, Flecke, Tlicht, Dür, Dliege, Tecke, Flicht, Flecke….aaaaahhhh – dann stehe ich doch noch mal auf, eine Sache will ich noch versuchen.
Unten renovieren wir gerade das Wohnzimmer. Wir ziehen eine neue Wand ein, hinter dem Sofa, sie ist fast fertig. Man muss nur noch ein paar Teile befestigen und sie mit diesem weißen Schaumstoffzeug zum Isolieren auffüllen. Dann bleibt alles, was man dahinter stellt auch da drinnen. Gut so.
Als ich nach unten gehe, um noch ein Glas Wasser zu trinken, fällt mir auf, dass ich ja schon einmal anfangen könnte. Mit der Wand meine ich. Sonst hat er das gemacht, aber wenn er nicht will oder nicht kann…
Brettchen hintackern kann ich auch, ich hatte das Ding ja heute auch schon in der Hand. Nur abwischen sollte ich es noch einmal. Schwer ist es ja schon, dieses Teil mit dem die Bretter an das Gerüst geheftet werden.
Ich kann schon verstehen wie das passiert ist heute Abend…
Also Brett an die Gerüstkonstruktion, Gerät hoch und festmachen… haha… ganz einfach.
Jetzt der Schaum. Er hat sich da so eine Maschine ausgeliehen, weil er immer alles selber machen musste. Stimmt das Geld für den Handwerker hat er ja in Diamanten für die andere Blondine angelegt. Sichere Investition, trägt sie bestimmt immer noch, genauso wie ich immer noch den Ehering trage, der übrigens keinen Diamanten bat.
Der Schaum beginnt langsam die Hohlräume zu füllen, er schmiegt sich schön an alles im Inneren der Wand, bis alles voll ist.
Dann das letzte Brett…halt, der Ehering… Ehering zu Ehemann, also ab in den Schaum, lässt sich super hineindrücken. Jetzt aber das Brett und….ich habe eine Wand gebaut!
Ganz leise surrt etwas neben meinem Ohr, ich spüre, wie die Fliege auf meiner Schulter landet und schlage zu. Schade, dass die Wand schon verschlossen ist, sonst könnten alle, die mir den Schlaf rauben, zusammen sein…