Die Türen werden in 10 Minuten geöffnet. Noch genug Zeit, mir die Stände um mich herum anzuschauen. Der mir gegenüber hat ein großes Leuchtschild über seinem Tisch angebracht: Rundumerneuerung. Ganz schön aufdringlich finde ich. Man muss doch nicht jeden Schund loswerden.
Nicht zu schnell und nicht zu viel – lieber ein bisschen und dafür stetig an sich arbeiten”
Tauschbasar

Ich habe meinen Stand schon ganz in der Früh aufgebaut. Denn in der Früh, da sind die Antiquitätenhändler unterwegs. All jene, die nach der guten Ware, nicht nach Ramsch suchen. Außerdem wollte ich genügend Zeit für die Präsentation meiner Stücke haben. So exklusive Habe muss ordentlich in Szene gesetzt werden. Ich richte also hier noch etwas gerade, wische noch einmal über das Ding und tausche Dieses mit Jenem. Dann stelle ich mich in einigem Abstand vor den Stand – betrachte ihn aus Kundenperspektive – und kann nicht anders, als stolz auf mich zu sein. Man weiß ja, wie schwer es ist, die echte Flohmarktware von dem Zeug zu trennen, das man eigentlich nicht wirklich hergeben möchte oder das schon so verschlissen ist, dass es fast eine Frechheit wäre, es irgendjemandem anzudrehen.
Ich habe nur einen Tisch im hinteren Drittel bekommen. Das machen die angeblich immer so: Die Tauschhändler, die regelmäßig da sind, die kriegen die Plätze weiter vorne. Und wenn man sich bewiesen hat, mit guter Ware sowie mit Präsentation, dann darf man vielleicht ein Stückchen nach vorne. Ein bisschen wie in der Google-Suchmaschine.
Die Türen werden in 10 Minuten geöffnet. Noch genug Zeit, mir die Stände um mich herum anzuschauen. Der mir gegenüber hat ein großes Leuchtschild über seinem Tisch angebracht: Rundumerneuerung. Ganz schön aufdringlich, finde ich. Man muss doch nicht jeden Schund loswerden. Die Dame neben mir hat hingegen sehr spartanisch gearbeitet. Auf ihrem Tisch erkenne ich nur drei Schalen. Auf Zettel hat sie „Ich suche“ und „Ich biete“ geschrieben. Klar und einfach! Da weiß jemand, was er will. Ganz anders bei mir. Ich habe zwar nicht ganz so viel auf dem Tisch wie Herr Räumungsverkauf, aber doch mehr als meine bescheidene Nachbarin.
Vielleicht sollte ich doch noch einmal über meine Habseligkeiten schauen?
Zu spät – Die Türen öffnen sich und die Frühaufsteher betreten die Halle. Alle mit Beuteln voll mit Tauschwaren.
Bevor sie den Tisch meiner Nachbarin erspähen können, beuge ich mich zu ihr herüber und wispere: „Psst, Hallo. Ich habe gesehen, dass Sie da eine Schale Wagnis auf dem Tisch stehen haben. Ich hätte ein bisschen Respekt vor Situationen abzugeben. Wollen wir nicht intern tauschen?“
„Wirklich, Sie wollen davon wirklich etwas loswerden?“, fragt mich die Frau.
„Ja, nur ein bisschen was. Sie wissen schon. Ein kleines bisschen mutiger werden, hier und da mal etwas riskieren“, erkläre ich ihr.
„Na, dann nehmen Sie sich doch einen Teelöffel raus und geben mir dafür… sagen wir, fünf Prisen Ihres Respekts vor Situationen?“
„Mehr wollen Sie nicht?“, frage ich.
„Sie sind zum ersten Mal hier, oder?“, will die Frau wissen und ich nicke.
„Ich gebe Ihnen den Tipp, sich langsam heranzutasten. Wenn Sie wie der da drüben alles zu Spottpreisen verschleudern, kann es sein, dass Sie den Punkt überschreiten, an dem Sie sich wohlfühlen“, erklärt mir die Dame und lächelt.
„Das macht Sinn“, sage ich. „Vielen Dank für den Tipp“.
„Ich mache das hier jedes Jahr. Und nehme gerne den Platz am Ende. Denn die Leute, die sich ihre Tauschwaren bis hier her aufheben, die sind wählerisch, die wissen, dass ihr Zeug etwas wert ist“, erzählt die Dame weiter. „Und wo wir schon bei Insider-Tipps sind. Sie sollten sich auf ein paar Eigenschaften konzentrieren. Sie verlieren sonst super schnell den Überblick darüber, wovon Sie wie viel weggegeben haben. Den Fehler habe ich am Anfang gemacht. Ich dachte mir ‚das magst du nicht‘ und ‚dieses behindert dich‘ und ‚jenes ist doof‘. Und am Ende haben mir Freunde gesagt, dass ich wirklich komisch geworden sei“.
Ich betrachte meine Auslage und sehe, wie die ersten Menschen sich meinem Tisch nähern. Die wichtigen Dinge habe ich in die erste Reihe gestellt. Nun packe ich hastig die Schalen in den hinteren Reihen zurück in meine Kiste. Die Frau zwinkert mir zu.
Der erste Tauscher bleibt vor meiner Auswahl stehen und sieht in die Schalen, die noch übrig sind.
„Wow, Ihre Unruhe hat eine wunderschön kräftige Farbe und…“, er hält sich die Schale näher ans Gesicht, „… riecht extrem frisch. Ich habe ein paar Tische weiter vorne schon welche gesehen, aber die war schon echt ein bisschen angelaufen. Wie viel würden Sie denn abgeben?“
Ich werfe schnell einen Blick zu der Frau hinüber und sage dann etwas zögerlich: „Einen halben Teelöffel? Haben Sie denn etwas Gelassenheit oder Ruhe in Ihrer Tasche?“
„Hahaha, grad genug. Ich bin die Ruhe selbst. Aber ich muss langsam mal was tun, um ein bisschen in die Pötte zu kommen“, sagt der Mann und kramt in seiner Tasche. „Hier, ich habe schon so kleine Parfümprobenfläschchen abgefüllt. Reicht Ihnen das?“
Ich nehme die Phiole entgegen und halte sie ins Licht. „Sieht sehr klar aus! Da kann ich notfalls selber noch ein bisschen dosieren.“
„Wunderbar“, der Mann zieht einen Beutel hervor. „Hier rein bitte“. Und ich schütte ihm einen halben Teelöffel gelbes Pulver in das Säckchen.
„Vielen Dank“, sagt der Mann, lupft kurz seinen Hut und geht weiter.
Der Tauchbasar dauerte etwa drei Stunden und ich tauschte noch ein wenig von meiner Phantasie gegen eine Portion Realismus ein – nur ganz ganz wenig. Und ein Häufchen Emotionalität gegen ein 1 ml Rationalität. Dann ließ ich es gut sein.
Man sollte sich nicht von einem Tag auf den anderen komplett ändern, das hat mir meine Tauschpartnerin zum Abschied gesagt. Lieber stetig und dafür dauerhaft an sich arbeiten und nicht schnell und verwirrend.
Ich habe übrigens auch nicht das ganze Fläschchen Ruhe auf einmal über mich gegossen. Sondern nehme mir jetzt in besonderen Momenten nur einen Hauch davon, den ich mir, ähnlich wie ein Parfüm, mit diesem kleinen Stäbchen an den Hals streiche. Und was soll ich sagen: Es wirkt! Und im nächsten Jahr komme ich als Kundin zum Tauschbasar, habe ich beschlossen.