„Entschuldigen Sie bitte…“, die Frau tippte dem Verkäufer leicht auf die Schulter. Dieser drehte sich herum und sah die Kundin fragend an. „Ich bin auf der Suche nach Glück. Wo finde ich denn das bei Ihnen?“
Eine Portion Glück

„Entschuldigen Sie bitte…“, die Frau tippte dem Verkäufer leicht auf die Schulter. Dieser drehte sich herum und sah die Kundin fragend an. „Ich bin auf der Suche nach Glück. Wo finde ich denn das bei Ihnen?“
Der Verkäufer runzelte die Stirn: „Glück?“
„Ja, eine Portion Glück oder auch das ganz große Glück. Die Menge ist erstmal egal. Hauptsache, gute Qualität“, erklärte die Frau.
Noch immer sah der Verkäufer verständnislos drein.
„G-L-Ü-C-K; Glück, müssen Sie doch auch kennen!“, beharrte die Frau.
„Ähm… Ja… Warten Sie kurz, ich sehe einmal im Computer nach“, sagte der Verkäufer schließlich, um wenigstens so zu tun, als würde er sein volles Potenzial an Hilfsbereitschaft ausschöpfen.
Er drehte sich um und tippte einige Sekunden auf den Tasten herum. Die Kundin hörte die Maus klicken und sah von hinten, wie der Verkäufer immer wieder leicht den Kopf schüttelte. Dann drehte er sich zurück zu der Frau, lächelte ein wenig verlegen und sagte: „Ich fürchte, dass wir keine Firma und kein Produkt mit Namen ‚Glück‘ führen. Tut mir wirklich sehr leid!“
Die Frau zuckte die Schultern: „Sie sollten Ihren Slogan überdenken. ‚Wir haben, was immer Sie brauchen‘? Haben Sie offensichtlich nicht!“ Bevor der Verkäufer etwas erwidern konnte, drehte ihm die Frau den Rücken zu und verschwand im Gang mit den Putzmitteln.
Zurück auf der Straße blieb die Frau erst einmal stehen. Sie begutachtete den Boden um sich herum, ging in die Knie und tastete mit den Händen das Pflaster ab.
„Haben Sie etwas verloren?“, fragte eine ältere Dame mit einem Pudel an der Leine, der, bedingt durch ihre derzeitige Körperhaltung, auf Augenhöhe mit der Frau war.
„Nein, ich suche nur etwas“, antwortete die Frau kurz.
„Und was suchen Sie, junge Frau?“, fragte die Dame.
„Glück“, antwortete die Frau einsilbig.
„Und das meinen Sie auf der Straße zu finden?“ Die Frau wirkte ein wenig belustigt.
„Nein, es ist nichts da“, sagte die Frau trocken, stand auf und ging hinüber zu dem Mülleimer neben dem Wartebänkchen. Zuerst zögerte sie kurz, doch dann griff sie mit beiden Händen hinein und begann, leere Flaschen, zerknüllte Papiertüten und Taschentücher, Plastikverpackungen und Essensreste von einer Seite zur anderen zu schieben.
Die Dame mit dem Pudel stand noch immer da. „Ich muss Sie jetzt schon einmal fragen, ob Sie das ernst meinen?“
„Was ernst meine?“, die Frau drehte sich um und funkelte die Dame wütend an.
„Na, dass Sie auf diese Weise Glück finden wollen“, antwortete die Dame und begann, den Pudel am Kopf zu kraulen.
„Pff, natürlich. Hört man doch immer wieder, dass Menschen ihr Glück finden!“, wies die Frau die Zweifel der Dame ab.
„Aber Sie wühlen im Müll, in dem, was andere Menschen weggeworfen haben“, stellte die Dame fest.
Die junge Frau sah hinunter auf ihre Hände. Sie waren beschmiert mit etwas, von dem die junge Frau gar nicht wissen wollte, was es war. Ein Kaugummi klebte an ihrem Daumen.
„Hier“, die Dame reichte der Frau ein Taschentuch. „Wühlen Sie nicht im Müll, da werden Sie kein Glück finden, glauben Sie mir.“
„Aber wo denn dann?“, fragte die Frau verzweifelt.
„Wo Sie Ihr Glück finden, das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber, ich kann Ihnen versichern, dass es irgendwo auf Sie wartet“, antwortete die Dame. Sie legte der Frau die Hand auf den Arm und verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. „Geben Sie die Suche nicht auf!“
Sie ging mit ihrem Hund weiter die Straße hinunter. Die junge Frau sah ihr nach.
Passanten zogen vorüber und die Frau überlegte, wo sie denn noch suchen sollte. Gedankenverloren stand sie da, bis ein Mann neben ihr stehen blieb. „Darf ich bitte kurz an den Mülleimer?“, fragte er die Frau, die offenbar den Weg blockierte.
„Oh, natürlich, entschuldigen Sie bitte.“ Die Frau schüttelte ihre Gedanken ab und trat einen Schritt zur Seite.
Der Mann warf eine leere Bierflasche aus einiger Entfernung in Richtung des Abfallbehälters. Er traf nicht genau … und die Flasche ging am Rand des Containers zu Bruch. Den Mann selbst schien das wenig zu kümmern. Er bedachte die Szene lediglich mit einem „Upsi“, grinste und ging weiter. Das Gesicht der jungen Frau hingegen begann zu strahlen. Scherben! Scherben brachten doch bekanntlich Glück! Sie ging in die Hocke und sammelte die braunen Glasreste auf. Als sich in ihren Händen ein kleiner Haufen gebildet hatte, erhob sie sich und blickte erwartungsvoll hinunter auf ihre Errungenschaft.
Doch … das war kein Glück … das waren nur Bruchstücke aus Glas. Ein Scherbenhaufen, der nie wieder sein würde, was er einmal war. Die Frau warf die Scherben in den Müll und verließ die Hauptstraße in eine der Seitengassen.
Sie wanderte lange die Schleichwege zwischen den Hausfassaden entlang und sah sich immer wieder suchend um. In keiner Ecke fand die Frau, was sie sich erhoffte. Natürlich nicht, Glück lag ja nicht einfach so auf der Straße, wie sie erfahren hatte. Aber dass man es gar nirgends finden konnte…
Nach einiger Zeit kam sie an einer Schmiede vorbei und es kam ihr in den Sinn, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied war! Mit neuer Hoffnung betrat sie das Gebäude und traf auf einen muskulösen Mann, der mit voller Wucht auf ein Stück Eisen einschlug, sodass die Funken nur so flogen. „Entschuldigen Sie…“, sagte die Frau, „… kann ich bei Ihnen mein eigenes Glück schmieden?“ Der Mann reagierte nicht. Die Frau trat einen Schritt näher und rief noch einmal: „Entschuldigen Sie!“ Nun sah der Mann auf, legte den Hammer beiseite und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
„Ja, bitte?“, fragte er.
„Ich wollte nur kurz fragen, ob ich bei Ihnen mein eigenes Glück schmieden kann?“, fragte die Frau.
Zuerst sah der Mann sie perplex an, dann brach er in schallendes Gelächter aus: „Sie wollen was? , Sie haben mir wirklich den Tag versüßt, Lady“.
„Aber jeder ist doch seines Glückes Schmied“, versuchte es die Frau noch einmal.
„Sie können gerne versuchen, aus einem Stück Eisen Glück zu machen, wird aber nicht klappen, fürchte ich“, der Mann gluckste noch immer. „Obwohl, kommt vielleicht darauf an, was Sie formen, ob Sie das glücklich macht.“ Wieder begann der Mann laut zu lachen.
Die Frau drehte sich um, verließ das Geschäft und knallte die Tür hinter sich zu. Doch auch auf der Straße verfolgte sie das Lachen noch. Was für ein fieser Mensch! Alle waren sie so kühl zu ihr. Als ob sie etwas Unsinniges haben wollte. Als ob der Wunsch nach einer Portion Glück so unrealistisch war. Diese Stadt war so groß, man konnte alles finden, alles kaufen; nur Glück, das schien es nicht zu geben. Die Frau setzte sich auf die Steinstufen vor der Werkstatt und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Warum weinst du denn?“, fragte eine zarte Stimme nach einer Weile.
Die Frau sah auf. Ein kleines Mädchen stand vor ihr. Es hatte lange, blonde Zöpfe und trug ein rosafarbenes Shirt mit einem großen, bunten Schmetterling auf der Brust.
„Ich kann einfach kein Glück finden“, sagte die Frau traurig.
„Wo hast du denn danach gesucht?“, wollte das Mädchen wissen.
„Überall. In tausend Läden, auf der Straße, sogar den Schmied habe ich gefragt. Aber nicht einmal eine kleine Portion Glück konnte ich erwerben“, berichtete die Frau.
„Na, wenn das so ist. Dann … hier“, das Mädchen zog eine zerbeulte Aluminiumdose aus ihrer kleinen Umhängetasche und hielt sie der Frau hin.
„Was ist das?“, fragte diese.
„Na, Glück natürlich.“ Das Mädchen grinste breit.
„Wo hast du das denn her?“, wollte die Frau wissen. Sie zögerte, die kleine Dose entgegenzunehmen. Woher sollte denn das kleine Mädchen Glück haben, wenn sie selbst doch schon seit Tagen danach suchte?
„Hab ich selbst gemacht“, sagte das Mädchen stolz.
Die Augen der Frau weiteten sich ungläubig. „Wie das denn?“
„Na, mit dem Herzen. Geht ganz einfach. Wo Herz ist, da ist auch Glück“, erwiderte das Mädchen und streckte der Frau die Dose noch etwas energischer entgegen.
„Das kann ich nicht annehmen“, sagte die Frau und schob die Hand des Mädchens zurück. „Das ist deines.“
„Ach, papperlapapp“, das Mädchen lachte glockenhell auf. „Weißt du denn nicht, dass Glück das einzige ist, das sich verdoppelt, wenn man es teilt?“