Wer etwas biblisches hinter dieser Geschichte erwartet, der wird enttäuscht. Bei mir werden die 10 Gebote etwas anders interpretiert – blutig!
“Wer etwas biblisches hinter dieser Geschichte erwartet, der wird enttäuscht. Bei mir werden die 10 Gebote etwas anders interpretiert”
Die zehn Gebote
Er ist tot, fuhr es mir durch den Kopf – und ich habe ihn umgebracht. Erst beim Anblick des reglosen Mannes zu meinen Füßen und der blutverschmierten Klinge in meiner Hand wird mir diese Tatsache wirklich bewusst.
„Ich bin eine Mörderin“.
Ich lasse die Worte einige qualvolle Sekunden in meinem Kopf widerhallen. Aber ich empfinde kein Gefühl von Schuld, kein Gefühl von Scham, einfach nur pure Zufriedenheit. Das ist der Moment in dem mir klar wird, dass es kein Versehen war.
Ich hatte ihm das Messer in den Bauch stechen wollen, nicht nur einmal, sondern auch noch ein zweites und ein drittes Mal, bis er zusammensackte. Zuerst hatte er noch ein klein wenig gezuckt und gewimmert, doch als sich irgendwann der Großteil seines Blutes über den Küchenboden ergossen hatte, da war er auf einmal ganz still gewesen.
Fünf Liter hat ein Mensch etwa im Körper… Fünf Liter glänzend roter Lebenssaft fließt mir in einer kleinen Pfütze um die Füße und durchweicht meine Socken.
Ich schaue auf ihn herab, ich habe gemordet.
Man darf nicht morden, heißt es in der Bibel. Aber in der Bibel heißt es auch: „Du sollst keine anderen Götter“ neben mir haben und das erübrigt sich ja schon allein deswegen, weil ich nicht einmal an diesen einen glaube. Demzufolge kann ich seinen Namen auch eher schlecht missbrauchen und gelten dann die zehn Gebote für mich überhaupt noch, wenn die ersten beiden davon ohnehin hinfällig sind?
Ich setze mich mit klebrigen Fingern an den Computer und google die katholischen zehn Gebote, um herauszufinden, was die vergangenen fünf Minuten für mich bedeuten. In der Schule hatte ich ein Jahr lang Recht, aber an mehr als den Kaufvertrag kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube nicht, dass wir das mit dem Töten durchgenommen haben. Aus dem Fernsehen weiß ich, dass ich mich auf Notwehr herausreden könnte. Er hat mich angegriffen und ich hatte zufällig das Messer in der Hand.
Aber warum habe ich dann dreimal zugestoßen?
Na, aus Verzweiflung.
Warum habe ich nicht die Polizei gerufen?
Na, aus Angst.
Wenn ich es gut mache, dann komme ich um den Knast schon herum. Ich kann gut lügen, bin außerdem klein und zierlich und kann auf Kommando heulen. Das mit der Notwehr glaubt man mir schon. Aber was ist danach?
An meinen Händen klebt Blut und mag Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld gewaschen haben, so würde all die Seifenlauge der ganzen Welt nicht ausreichen, um die Schuld von meinen Fingern zu schrubben.
„Du sollst den Feiertag ehren“ – verdammt heute ist Sonntag, fällt also auch das weg.
Aber immerhin das mit dem Vater und Mutter ehren krieg ich hin, gestern war ich mit ihnen essen und habe bezahlt.
Und als fünftes… da kommt jetzt das Gebot, das mir das Genick bricht. „Du sollst nicht töten“, aber hat die Bibel je erwähnt, ob das auch gilt, wenn der andere zuerst ein Gebot gebrochen hat?
„Du sollst nicht die Ehe brechen“, heißt es an sechster Stelle. Ich habe das nicht getan. Kann man ehebrechen, wenn man nicht verheiratet ist? Weiter gefasst heißt das sicher nur so viel wie „Du sollst mit niemand anderem verkehren, wenn du jemanden hast, der dich liebt“. Und wenn der Partner das getan hat, darf ich dann morden um mir Seelenheil zu erfüllen?
Niemand erklärt einem das. Da wurden sie auf Steintafeln empfangen, diese zehn Gebote und niemand hat sich getraut mal den Finger zu heben und zu fragen, was denn das alles überhaupt heißt und was diese Regeln denn für Ausnahmen haben. Ist das nicht der Sinn von Regeln, dass es immer Ausnahmen gibt?
„Du sollst nicht stehlen“ – Das habe ich tatsächlich nicht getan. Er hat gestohlen, mein Herz hat er gestohlen, meine Würde, meine Fröhlichkeit und Unbeschwertheit.
Wir haben diese zehn Gebote gemeinsam gebrochen, so sieht es aus!
„Du sollst nicht falsch reden über deinen Nächsten“. Wer ist mein Nächster? Mein Nachbar oder meine Freunde, heißt das einfach nur, dass Gerüchte böse sind? Und was, wenn die Gerüchte wahr sind und es dann Tatsachen sind über die man herzieht? Ist es dann immer noch so, dass ich das Gebot breche, wenn ich rede? Und dann finde ich eine Stelle, die mich stutzig macht.
„Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau.“ und danach „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut“. Letzteres ist klar, aber davor steht “Frau”! Nur Frau, da steht nicht “beziehungsweise deiner Nächsten Mann”.
Sind die zehn Gebote etwa nur für Männer gemacht? Heißt das, Frauen wird ohnehin Absolution erteilt und wir dürfen lästern und stehlen und huren und morden und unsere Eltern verabscheuen und am Sonntag nicht in die Kirche gehen und den Namen des Herrn in den Dreck ziehen, uns Bilder machen und wenn wir wollen zum heiligen Telefonkabel, der heiligen Kloschüssel und der heiligen Brotmaschine beten… wenn wir lustig sind?
Dann wäre es allein seine Schuld, alles wäre dann seine Schuld…
Bricht man eines der zehn Gebote wartet die Hölle, bricht man eines meiner Gebote, dann… ich wische das Messer einmal ab und stelle es in die Spülmaschine.