Lady Ming war ein unbelehrbares Teufelsweib und wenn sie nicht so blaues Blut wie wenige Andere gehabt hätte, würde man sie schon lange nicht mehr auf solchen Veranstaltungen finden.
“Lady Ming war ein unbelehrbares Teufelsweib und wenn sie nicht so blaues Blut wie wenige Andere gehabt hätte, würde man sie schon lange nicht mehr auf solchen Veranstaltungen finden.”
16. Glas
Der Ballsaal war voll besetzt, wie immer bei solchen Anlässen. Die teuren Abendroben der Frauen, besonders jene, die mit funkelnden Accessoires besetzt waren, hoben sich aus der Menge der schwarzen, eher schlichten Anzüge der Herren ab.
Jede Frau gab vor, sich als die Schönste zu glauben, doch in Wirklichkeit waren sie alle neidisch auf eine andere. Hektisch folgten sie den Blicken ihrer Männer um kurz darauf verächtlich zu flüstern: „Was findest du denn an der?“
Es war kurz vor Mitternacht. Unter normalen Umständen hätte Lady Ming unter dem Aberglauben der nächtlichen Geisterstunde gelitten, aber heute, in der Gruppe fühlte sie sich sicher. Und so erhob sie pünktlich zum zwölften Glockenschlag ihr Glas und lallte, leicht angetrunken, ein paar Worte in die Menge, die von allen ignoriert wurden. Einerseits weil ihr leises Stimmchen nicht durch das Gemurmel der Tischgespräche drang, andererseits, weil die Lady ein eher ungern gesehener Gast auf solchen Feiern war.
Es lief immer gleich. Nach dem zehnten Glas war ihre Laune bereits erheblich gestiegen und nach der doppelten Menge fand sie sich morgens, mit höllischen Kopfschmerzen, im Stroh des Pferdestalls wieder, wo sie der Hofbursche ablud, damit sie ihren Rausch ausschlafen konnte. Lernen tat sie aus diesen zahlreichen Demütigungen trotzdem nichts.
Sie war bei Glas neun, am heutigen Abend, während ihr Gegenüber, ein älterer Herr mit Glatze und Schnauzer, Lord Braveheart, gerade sein Drittes bestellt hatte.
Ja, Lady Ming war ein unbelehrbares Teufelsweib und wenn sie nicht so blaues Blut wie wenige Andere gehabt hätte, würde man sie schon lange nicht mehr auf solchen Veranstaltungen finden.
Sie war keine Schönheit, aber im Vergleich zu den ganzen aufgedonnerten Blondinen, die unbedingt jünger aussehen wollten als sie in Wirklichkeit waren, war sie doch recht attraktiv. Sie war schlank, vielleicht etwas zu schlank für den Geschmack mancher wohlgenährter Herren, und sie war klein. Mit hohen Schuhen nicht größer als 1.60 Meter. Ihr Haar war rabenschwarz, ihre Augen giftgrün und ihr Mund sehr dünnlippig.
Lord Braveheart schien sich in ihrer Gegenwart sichtlich zu langweilen und wünschte sich die redsame Lady Ming gerade überall hin, nur nicht in seine Nähe.
Er war ein griesgrämiger Junggeselle, der langsam in die Jahre kam. Seine Hüfte war kaputt – ein Geschoss hatte ihn dort vor Jahren getroffen – und er war müde und auch nicht gerade die Gesellschaft, die man bevorzugte. Aber das war auch das Einzige, was er mit Lady Ming gemeinsam hatte
1 Uhr nachts, zwölfter Drink, Lady Ming hält sich mehr schlecht als recht auf ihrem Stuhl, aber sie sitzt.
Drei Gläser später, sie torkelt unbeholfen auf die Toilette. 16tes Glas, sie vergisst Lord Braveheart, der Saal beginnt leicht zu verschwimmen.
„Noch einen“, lallt sie dem Dienstmädchen entgegen.
„Sind Sie sicher, Lady?“
„Wenn ich unsicher wäre, würde ich nicht bestellen!“
„Wie sie wollen.“
Der Geruch von Pferd liegt in der Luft. Er ist stärker als der des Strohs. Das teure Ballkleid ist wohl nicht mehr zu gebrauchen, so viel ist sicher. Aber Lady Ming hatte ohnehin nicht vor gehabt es ein zweites Mal zu tragen.